Es ist Freitag, der 5. Mai 2023. Seit dem letzten Saisonspiel der Kassel Huskies sind bereits fast vier Wochen vergangen, der Saisonabschluss mit den Fans ist ebenfalls schon Wochen her, in der Eissporthalle haben die nächsten baulichen Maßnahmen begonnen.
Nachdem am Vortrag, wie bereits üblich für einen Donnerstag, die lange spekulierte Verpflichtung des deutsch-amerikanischen Goalies Brandon Maxwell offiziell bekanntgegeben wurde, veröffentlichen die Huskies zehn feststehende Abgänge von Spielern sowie die des während der Saison verpflichteten Goalie Coaches. Unter den zehn Spielern auch drei, die bereits länger für Kassel gespielt haben: Stephan Tramm, Denis Shevyrin und Gerald Kuhn (besser bekannt als "Jerry"). Letzterem, so wurde es kolportiert, wurde einen Tag vor der Maxwell-Bekanntmachung mitgeteilt, er solle sich einen neuen Club suchen - trotz noch bestehenden Vertrages bis 2024.
Es ist klar, dass es immer Fans gibt, die den Abschied von dem ein oder anderen Spieler besonders betrauern. Der Weggang von Jerry Kuhn hat die Kasseler Fanszene aber besonders bewegt. Kein Wunder: Jerry hatte schon kurz nach seinem Wechsel von Kassel geschwärmt, fühlte sich nach schweren Schicksalsschlägen wieder wohl. Er und seine Kinder posierten zwischendurch für die Fankollektion des Clubs, der Goalie war in der Eisjockeyjugend Kassel stark involviert. Nicht wenige Nachwuchsspieler gaben Kuhn als ihren Lieblingsspieler an. Jerry war ein Teil der Kasseler Eishockeyfamilie geworden und der Verlust eines Familienmitgliedes bedeutet besonderen Trennungsschmerz. Deshalb wurde von Teilen der Kasseler Fans sein Abgang auch durchaus harsch kritisiert.
Angefeuert wurde diese Debatte aber auch durch die Reaktionen von Jerry, seiner Ehefrau Amanda oder Jerrys Kumpel Cody Lampl. Der Tenor der Familie Kuhn & Freunden: Die Huskies lassen es an Loyalität vermissen, ein Spieler der immer Leistung gezeigt habe, werde nun vom Hof gejagt, sein vom Club gewollter Ausstieg aus dem Vertrag werde eine teure Angelegenheit für Kassel. Die Social Media Detektive unter den Kasseler Fans stellten sofort fest: Huskies und Kuhns entfolgten sich gegenseitig, alle bestehenden Bande schienen plötzlich dahin.
Doch ist die Kritik der Kuhns tatsächlich berechtigt? Ließen die Huskies es tatsächlich an Loyalität vermissen?
Kritik ist durchaus angebracht im Hinblick auf die Art und Weise des Abschieds: Spielern wie Stephan Tramm, der in Kassel den Sprung vom Oberliga-Talent zum gestandenen DEL2-Verteidiger (vielleicht auch mit Potential zum DEL-Spieler) gemacht hat, immerhin vier Jahre das blau-weiße Trikot und zwischendurch auch mal das "A" trug, Denis Shevyrin, ebenfalls vier Jahre ein Husky und sogar Mannschaftskapitän, oder eben Jerry Kuhn den gleichen Raum im Abschied zu geben, wie Spielern, die nicht einmal 12 Monate den Husky auf der Brust trugen, kann und sollte vielleicht auch durchaus bemängelt werden. Diese Menschen hätten es mit Sicherheit verdient, besonders hervorgehoben zu werden, selbst wenn man die Leistung auf dem Eis vielleicht nicht immer positiv wahrgenommen hat.
Loyalität zu Jerry Kuhn von Seiten der Huskies aber in Frage zu stellen, ist dann doch eine ganz andere Hausnummer. Der Torhüter konnte zwar regelmäßig mit guten statistischen Werten punkten, fiel aber auch immer wieder durch einzelne negative Situationen auf: Im Playoff-Finale 2020/21 gegen Bietigheim verschuldete er durch sich fast identisch wiederholende Fehler einige Gegentore, die am Ende auch den verpassten DEL-Aufstieg bedeuteten. Trotzdem hielten die Huskies ihm die Treue, gingen auch in die kommende Saison mit ihm als ihrer Nummer 1. Ein Jahr später - wieder in den Playoffs, diesmal gegen Bad Nauheim - rastete Kuhn auf der Tribüne aus und schlug einem Nauheimer Fan ins Gesicht. Kuhn wurde für mehrere Spiele gesperrt, die Huskies verloren die Serie - setzten aber weiter auf Kuhn im Tor. Und wenn die Aussagen der Familie Kuhn stimmen, statteten sie ihn sogar mit einem 2-Jahresvertrag aus. Wenn das kein Zeichen von Loyalität ist...
Drei Jahre gibt es nun den möglichen Aufstieg in die DEL. Zweimal verpassten die Huskies ihn sportlich, einmal hielt man sich nicht an die Formalitäten. Die Verantwortlichen haben in den letzten Jahren den Standort fortwährend professionalisiert. Und zur Professionalität gehört eben auch eine nüchterne Bewertung der sportlichen Leistung. Jerry Kuhn konnte sich in der vergangenen Saison nicht entscheidend gegen Jake Kielly durchsetzen. In den zwei Spielzeiten davor zeigte er während der Playoffs Nerven. Und mit mittlerweile 37 Jahren ist er nicht mehr in einem Alter, in dem eine Weiterentwicklung erwartet werden kann. Da ist es, ganz objektiv betrachtet, durchaus verständlich, dass man sich bei den Huskies für das Tor neu aufstellen will.
Kuhn ist Profisportler, er verdient seinen Lebensunterhalt mit Eishockey. Und ihm - und auch seiner Familie - sollte bewusst sein, dass zum Profisport solche Entscheidungen dazugehören. Das kann man durchaus kritisch sehen, man darf den Umgang miteinander auch gerne hinterfragen. Wir wissen auch nicht, was genau hinter den Kulissen abgelaufen ist, wie die Kommunikation stattgefunden hat. Ich persönlich halte es für unwahrscheinlich, dass Jerry tatsächlich erst einen Tag vor der Maxwell-Mitteilung gesagt wurde, er solle sich nach etwas neuem umschauen. Die Gerüchte um ein Engagement in Hannover (oder für die Klugscheißer: Mellendorf) oder Rosenheim kursieren schon länger, er wurde auch im Oberliga-Halbfinale schon auf der Tribüne gesichtet. Schlussendlich gehören solche Trennungen aber zum Geschäft und das muss man als Sportler dann auch hinnehmen. Ob man will oder nicht.
Nun sind beide Seiten Verlierer: Die Huskies verlieren einen Spieler, der im Nachwuchs aktiv war, sicherlich auch den ein oder anderen jungen Spieler prägen konnte. Jerry und seine Familie verlieren aber auch an Ansehen. Die Art und Weise der Kritik dürfte auch an möglichen neuen Arbeitgebern nicht vorübergegangen sein und als Geschäftsführer eines Eishockeystandortes würde ich mich nun fragen, ob ich solch ein Theater an meinem Standort in ein, zwei Jahren haben wollte.
Wir Fans täten nun gut daran, unter dieses Kapitel einen Schlussstrich zu ziehen, es genauso hinter uns zu lassen, wie das Playoff-Aus und den Blick nach vorne zu richten. Kurieren wir den Trennungsschmerz mit ganz viel Eis: Im Sommer von der Eisdiele und im Herbst dann wieder in der Eissporthalle. Lasst es euch schmecken!
Ergänzung: Der Artikel hat viel Staub aufgewirbelt, mittlerweile haben sich Jerry und Amanda, sowie auch Cody Lampl bei uns gemeldet, weshalb jetzt noch ein paar Zeilen hinzukommen.
Cody Lampl hat uns gegenüber nochmal klargestellt, dass seine Story (siehe Bild oben) sich nicht auf die Frage nach einer möglicherweise fehlenden Loyalität bezog sondern einzig und allein auf die Verpflichtung, Spielern das Gehalt zu zahlen, das ihnen zusteht. Besonders dann, wenn mit einem Spieler trotz noch laufenden Vertrages nicht mehr geplant wird und man ihn quasi vor die Tür setzt.
Da gehen wir natürlich absolut mit und diese Frage hat sich auch für mich nie gestellt. Wie ich auch Jerry geantwortet habe, bin ich absolut der Meinung, dass ihm (wenn er noch Vertrag bis nächstes Jahr hat) das Gehalt oder eine entsprechende Abfindung zusteht. Daran gibt es nichts zu rütteln.
Darüber hinaus beinhaltet der Blog natürlich meine (Casi) persönliche Meinung (!) zu dem, was man als Fan mitbekommen hat. Dabei ist auch von Seiten der Huskies sicherlich so manches mindestens nicht ganz glücklich gelaufen, manches vielleicht sogar richtig schlecht. Die gewählten Zeitpunkte von Veröffentlichungen bspw. waren ganz offensichtlich schlecht abgestimmt.
Schlussendlich bleibt es dabei, dass beide Seiten am Ende Verlierer sind. Ich wünsche Jerry und seiner Familie jetzt trotzdem das Allerbeste! Ich hoffe, dass er seinen Weg so weitergehen kann, wie er das für richtig hält und ich habe weiterhin die Hoffnung, dass er den Young Huskies in irgendeiner Form erhalten bleibt (oder sie zumindest in der Zukunft wieder unterstützt).
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